Zdravko Zupan

Die Geschichte der Comics in Serbien 1972-1975: Überleben im Kulturkampf

Übersetzung Vesna Mors, Redaktion Ralf Palandt
(Images soon to come)

 

Das Mehrwertsteuer-Gesetz gegen Schundliteratur, das das Bundesland Serbien Anfang der 1970er Jahre erlassen hatte, galt nur innerhalb der Landesgrenzen. Weil der größte Comic-Verlag Decje Novine in Gornji Mianovac, mitten in Serbien, beheimatet war, machte er entsprechend große Verluste. Auf den Titelseiten der beiden letzten Ausgaben von Tarzan i njegov sin Korak (Tarzan und sein Sohn Korak) gab es mehrere Preisangaben: „Preis des Herausgebers: 2 Dinare“ sowie „Preis inkl. Steuern (in Serbien - ohne Provinzen) 3 Dinare, in anderen Teilen Jugoslawiens: 2,30 Dinare“. Auch die letzten Hefte der Reihe Lale extra kosteten unterschiedlich: „Preis des Herausgebers: 3 Dinare, Preis in Serbien: 5 Dinare, in anderen Teilen Jugoslawiens: 3,4 Dinare“. Im August 1972 musste Decje Novine schließlich mehrere Magazine aufgeben. Gegenüber den Comicheften Miki und Mirko i Slavko war die Prüfungskommission weniger streng.

Decje Novine kämpft ums Überleben

Die Situation wurden von der Konkurrenz ausgenutzt. Als am 1. Juli 1972 das Gesetz in Kraft trat, wechsele das Magazin Stripotheka von seinem monatlichen Erscheinungsrhythmus zu einem wöchentlichen. In Novi Sad, in der autonomen Region Vojvodina, hatte der Verlag Forum den Vorteil vor Ort dieser Steuer nicht unterworfen zu sein. Damals wurden in Stripotheka französische und englische Comics aus älteren Panorama-Ausgaben wiederveröffentlicht - bis zur Nr. 81 jeweils eine komplette Geschichte, von Nr. 82 bis 149 Fortsetzungsgeschichten, von Nr. 150 bis 399 Doppelausgaben. Dank Flash Gordon, Rip Kirby, Prinz Eisenherz und Ben Bolt war Stripotheka sehr beliebt.

Ab 1973 gab es die Comic-Magazine Cak (Zack) und Cak ekstra (Zack extra) des Verlages Slobodna Dalmacija (freies Dalmatien) aus der kroatischen Stadt Split an den serbischen Kiosken zu kaufen. Von Zagreb (Kroatien) aus startete der Verlag Vjesnik (Nachrichtenberichter) das Comic-Magazin Zov (Ruf), das spätere Zov strip

Doch Decje Novine gab nicht auf. Am 23. Und 24. Juli 1973 veröffentlichte der serbische Verlag zwei neue Comic-Magazine: Ekstra Strip erschien jeden Montag, mit 64 Seiten in schwarz/weiß. Bis zum 8. Mai 1974 kamen so 42 Ausgaben zusammen. Sowie 17 Sonderausgaben alle zwei Wochen. Ausländische Comics standen im Vordergrund, aber auch einheimische Künstler kamen zum Zuge: Jules Radilovic und Zvonimir Furtinger mit ihrer beliebten Serie „durch die vergangenen Jahrhunderte“, Zivorad Atanackovic mit „Zaseda“ (Hinterhalt), einer Geschichte aus dem türkisch-serbischen Krieg während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im anderen Heft, Bombas (Bomber), dominierten stattdessen Partisanen-Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg.

Seit Anfang an, d.h. seit den späten 1950er Jahren, hatten große Verlagshäuser wie Borba (Kampf) und Politika (Politik) versucht Decje Novine zu übernehmen. Als Decje Novine 1966 das Disney-Magazin Miki auf den Markt brachte, versuchte Politika über die Jahre hinweg ihnen die Lizenz abzujagen und setzte dafür sogar die Disney-Lizenzvertreter aus Athen ein. Schließlich kapitulierte der Chefredakteur Srecko Jovanovic. Als 1974 die letzte Miki-Ausgabe, Nr. 414, herauskam, startete Politika schon im Monat darauf das Disney-Heft Mikijev Zabavnik (Mickys Unterhaltungsblatt). Decje Novine machte mit dem monatlichen Magazin Mikijev almanah (Mickys Almanach) und später mit Disneyland weiter.

Comics im Kreuzfeuer der Kritik

Mitte 1974 berichtete die Belgrader Zeitung Vecernje novosti (Abendzeitung) von einer Versammlung der Herausgeber der „Rotationsdruck-Literatur“ (Groschenromane usw.). Dass die monatliche Auflagenstärke in Millionenhöhe läge, würde zeigen, dass der Comic, zusammen mit Fernsehen, das führende Massenkommunikationsmittel wäre. „Diese Tatsache kann nicht ignoriert werden. Niemand mehr wird ernsthaft bestreiten, dass Comics eine authentische Ausdrucksform der zeitgenössischen populären Kultur sind, mit einer 100 jährigen Tradition. Comics verdienen den Vorwurf von Moralisten und puritanischen Pädagogen nicht, ein ‘unvermeidbares Übel’ und ein ‘verdorbener Lebensbegleiter’ zu sein, dem man ins Gesicht sagen müsste, wie hässlich er in Wirklichkeit wäre.“

Andererseits hatte zuvor ein angesehenes Wochenmagazin von einer Ratsversammlung hoher Funktionäre berichtet. Diese hatten über Erziehungsfragen und ästhetische Werte in Kinderzeitschriften diskutiert und hier kritisierte der Schriftsteller Djordje Radisic den Inhalt in Comic: „Diese Literatur zeigt eine extrem einseitige und vereinfachte Weltsicht, fremd unserer eigenen Werte. Allein Tarzan repräsentiert Afrika; im Zweiten Weltkrieg kämpfen nur die westlichen Verbündeten gegen die Faschisten - das ist eine Geschichtsschreibung, die dem Kampf unseres Volkes keinen Platz mehr lässt.“ In der Zeitschrift Kommunist setzte ein Journalist nach, die Themen Revolution und Zweiter Weltkrieg würden im Comic „sehr schematisiert, schwarz/weiß, und auf die nackte Aktion reduziert dargestellt werden, und helfen den Kindern nicht dabei die Ideen unseres revolutionären Kampfes zu verstehen“:

In einem Interview mit der Zagreber Zeitschrift VUS zeigte sich der bekannte Schriftsteller Branko Copic mit den Maßnahmen im Kampf gegen die Schundliteratur zufrieden. Auf die Frage, ob Schund die kulturelle und ästhetische Entwicklung junger Menschen gefährden könnte, antwortete er: „Comics sind eine Form von Schund, der unsere Helden verfälscht darstellt, in Bildern und Texten auf unterstem Niveau.“ Vermutlich spielte er auf die Serie Mirko i Slavko an. Die Hefte waren von der besonderen Mehrwertsteuer befreit ... bis die Prüfungskommission auch sie Ende 1975 auf die Schund-Liste setzte. 

Pegaz

Im Sommer 1974 erschien das „Magazin über Geschichte und Theorie der Comics und aller Medien der graphischen Ausdruckskunst“: Pegaz (Pegasus). Es war in weniger als einem Monat ausverkauft. Zika Bogdanovic, der das Magazin in Buchform zusammen mit einer Gruppe Enthusiasten ins Leben gerufen hatte, erzählte: „Es war ein Experiment. Wir folgten den Einflüssen aus Italien und Frankreich. In diesen Ländern hat sich der Blickwinkel auf Comics geändert, denn Comics sind dort jetzt kulturell anerkannt.“

Pegaz vereinte Nachdrucke früher ausländischer und einheimischer Comics mit Studien, Essays und Interviews über Geschichte und Theorie des Mediums. Neue Trends in der amerikanischen und europäischen Comic-Kultur wurden vorgestellt. Auch einheimische Künstler, wie Lazar Stanojevic mit seinen originellen Svemirons (Weltraumwesen) bekamen ein Forum. Für die Anerkennung von Comics als Kunst war Pegaz von größter Bedeutung. Von 1974 bis 1978 erschienen sieben Ausgaben. So groß der Enthusiasmus war, so hoch waren auch die Produktionskosten. Ab 1988 erschien das Magazin nur noch unregelmäßig und wurde Mitte der 1990er Jahre eingestellt.

Serbische Comiczeichner

Die meisten erfolgreichen Zeichner der „goldenen“ 1960er Jahre wechselten ihr Fach und zeichneten jetzt Illustrationen und Karikaturen für verschiedene Zeitschriften.

Den Comics treu geblieben war Brana Nikolic, der im Kindermagazin Decje Novine seinen Helden Bendjo Kosta von einer Episode in die nächste führte. Und Petar Radicevic, der für die Militärzeitschrift Front arbeitete. Ab 1973 erschienen hier die Abenteuer seines kommunistischen Geheimagenten, Crveni obavestajac, mit Titeln wie Jelenas letzter Auftrag, Verräter, Entführung oder Operation Guardian.

Auch Politikin zabavnik war offen für einheimische Zeichner und veröffentlichte Srafko (Schraubenwesen) von Dusan Dude Vukojev, Dozivljaji Ibn Tupa (Die Erlebnisse des Ibn Tups) von Vladana Likar Smiljanic und Comics von Dusan Reljic, Ahmet Muminovic, Ivica Bednjanec, Jelko Peternelj. Zum Markenzeichen des Comicmagazins hatte sich die Figur Dikan entwickelt. Der Held eines mittelalterlichen Serbiens trat in Geschichten auf wie Dikan und der Tyrann, Dikan und Vesna Sapiens, Dikan und die Spione, geschrieben von Nikola Lekic und graphisch umgesetzt von Lazar Sredanovic. Der Phantasie von Nikola Lekic entsprangen auch die „Erlebnisse von Milos und Marina Bajagic und ihren Kindern“ (Dozivljaji Milosa i Marine Bajagic sa decom). Ab Mitte 1974 verfolgten die Leser der Ilustrovana politika (Illustrierte der Zeitschrift politika) diese Comic-Serie über den Alltag der Familie Bajagic (stell dir vor), die von Feri Pavlovic gezeichnet wurde.

TV Radojica von Dejan Nastic, eine der langlebigsten Comicserien, erschien in der Fernsehprogrammzeitschrift TV revija (TV Revue). Erinnert sei auch an Desimir Zizovic Buin, der mit seinem Team über die Jahre hinweg viele Geschichten der beiden Partisanenjungen Mirko und Slavko kreierte, nicht nur für die gleichnamige Heftreihe, sondern auch für andere Magazine, wie Zeko (Häschen), Tik Tak und Decje Novine. Zu dieser Zeit wurden viele Comics über die Geschichte Jugoslawiens in Nikad Robom präsentiert. Darunter Arbeiten von Brana Nikolic, Dragos Jovanovic Fera, Jelko Peternelj, Ciril Gale und Vladimir Herceg.

In der Studenten- und Jugendpresse versuchten junge Comic-Zeichner andere, neue Wege zu gehen. Am namhaftesten waren Branislav Obradovic, Dzoja Ratkovic, Jugoslav Vlahovic, Nikola Konstandinovic, Milan Ristovic, Ljubomir Milojevic Ljubac und Dragoljub Pavlovic. Letztgenannter zeichnete auch für die Militärzeitschrift Front einen Comic ohne Worte: Noch immer ohne Medaille.

Ganz dem Fernsehen hatte sich das wöchentliche Comicmagazin TV zabavnik des TV novosti Verlags verschieben. Pera Detlic (Woody Woodpecker), Calimero und Pink Panther hatten hier ihre Auftritte. Aber auch die Helden aus Serien wie Zvezdane staze (Star Trek/Raumschiff Enterprise), Daktari, Svetac (The Saint/Simon Templar) und U dimu baruta (Rauchende Colts). Filme wie Tacno u podne (High Noon/12 Uhr Mittags) wurden als Fotocomics abgedruckt. Das mit der Zeit der Textanteil überhand nahm war ein Zeichen sinkender Auflagenzahlen. Nach der Nr. 93 vom 29. Dezember 1975 war Schluss.

Von Novi Sad aus startete der Verlag Dnevnik ab Januar 1975 die Comiczeitschrift Zlatni kliker (goldene Murmel). Neben ausländischen Comics standen einheimische Geschichten über den Zweiten Weltkrieg im Vordergrund. So z.B. Valter brani Sarajevo (Walter verteidigt Sarajevo) von Ahmet Muminovic, die Serie über kurir Mladen (Kurier Mladen) des Autors Vlada Dubravcic und der Zeichnerin Slavka Bosnjakovic oder die vier Folgen Nesalomljivi (Die Unbeugsamen) von Ivica Koljanin. Ab der Nr. 10 zeichnete Branislav Kerac nach dem Skript von Svetozar Obradovic die Serie porucnik Tara (Leutnant Tara) über die Abenteuer eines kommunistischen Widerstandskämpfers mit dem Aussehen Clint Eastwoods. In der letzten Ausgabe Nr. 18, im Juni 1976, beteiligte er sich noch am „Angriff auf die deutsche Luftwaffe“.

Die Neuen Comics

In der zweiten Hälfte des Jahres 1975 widmete kultura (Kultur), ein Magazin über Theorie und Soziologie der Kultur, ihre 28. Ausgabe ganz dem Medium. Unter dem Titel Comic, die 9. Kunst hatte der Herausgeber Ranko Munitic mehrere analytische Texte einheimischer und ausländischer Autoren versammelt.

Am 16. Dezember zog die Zeitschrift Student mit dem Aufmacher nach: „Was ist das? So etwas wie eine Einführung in Betrachten, Lesen und vor allem Verstehen von Comics“. Vorgestellt wurden die Schöpfer der „Neuen Comics“: Druillet, Corben, Gotlib, Giraud, Kurtzman, Rodrigues und Willem. Jetzt waren auch Autoren- und Underground-Comics in Serbien angekommen und hielten Einzug in die Studentenblätter.

На Растку објављено: 2007-11-23
Датум последње измене: 2007-11-23 18:42:03
Спонзор хостинга
"Растко" препоручује

IN4S Portal

Плаћени огласи

"Растко" препоручује