Zdravko Zupan

Die Geschichte der Comics in Serbien 1934-1941: Das Goldene Zeitalter serbischer Comics

Übersetzung Vesna Mors, Redaktion Ralf Palandt
(Images soon to come)

 

Die Anfänge serbischer Comics entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Weiterführung von Karikaturen. Doch historische Ereignisse wie drei aufeinander folgende Kriege unterbrachen diese Entwicklung bis in die 1930er Jahre hinein.

Zuerst kamen die Comics durch eine Hintertüre in die serbischen Zeitungen, über die Seiten für die Kinder. Die Tageszeitung Politika gab Anfang 1930 den Startschuss, mit einer Sonderseite für Kinder. Andere Tageszeitungen, wie Vreme (Zeit) und Pravda (Wahrheit), aber auch Wochenzeitschriften folgten. Zum Abdruck kamen lustige oder belehrende Bildergeschichten, deren Texte nicht wie heute in Sprechblasen im Bild, sondern darunter platziert waren, meist in Versform.

Am 7. Januar 1932 erschien in Belgrad die Kinderzeitschrift Veseli cetvrtak (fröhlicher Donnerstag), in der den Comics ungewöhnlich viel Platz eingeräumt wurde. Zum ersten Mal erschien Micky Maus von Walt Disney: Dozivljaji Mike Misa (Das Leben von Micky Maus) -  allerdings in einer Überarbeitung durch Ivan Sensin (Zeichner) und Bozidar Kovacevic (Autor).

Die Vreme-Beilage Decje vreme (Kinderzeit) konterte mit einer Bildergeschichte des russischen Einwanderers Sergej Mironovitsch Golowtschenk: Dozivljaji misa Mike I majmuna Djoke (Die Erlebnisse der Micky Maus und des Affen Djoka). Auch die Comicfiguren Adamson, Bim i Bum (Katzenjammer Kids) und Macak Feliks (Felix the cat) hielten Einzug auf die Seiten der Veseli cetvrtak. Doch während sich in den USA Sprechblasen und Pengwörter durchsetzten, blieb es in Serbien bei den begleitenden Texten unter den Bildern. Obwohl die Kinderzeitschrift schon nach zwei Jahren, mit der 39. Ausgabe am 28. September 1933, eingestellt wurde, ebnete sie als Vorbild den zukünftigen Comic-Verlegern den Weg.

Geheimagent X9

Eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte der serbischen Comics geschah am 21. Oktober 1934 auf den Zeitungsseiten der Politika: der Abdruck der Comic-Serie Geheimagent X9, gezeichnet von Alexander Raymond und geschrieben von Dashiell Hammett. Die ersten sechs Folgen füllten eine ganze Seite. Es war eine Sensation. Der Politika-Redakteur Duda Timotijevic taufte das scheinbar neue Medium Strip („streep“ gesprochen) - in Anlehnung an das amerikanische Wort Comic Strip. Strip wurde gefeiert als „das neueste Wunder unserer Zeit“, „ein Roman, den man jeden Tag in zwei Minuten liest“ und als „Heimkino“. Am 10. Januar 1935 setzte Vreme nach mit der Veröffentlichung des Comics Radio patrola (Radiopatrouille) und drei Tage später mit Tim Tajlor (Tim Tyler’s Luck).

Diese Veröffentlichungen spornten die serbischen Zeichner an. Der Belgrader Vlastimir „Vlasta“ Belkic lieferte den Kriminal-Comic Avanture detektiva Hari Vilsa (Die Abenteuer des Detektiv Harry Wils) für die Zeitschrift Nedelja (Sonntag), 24. Februar bis 7. April 1935. Nur einen Monat später, am 23. März 1935 starteten Djordje Lobacev und Vladimir Kurganski in Panorama unter den Pseudonymen George Strip und Vladimir Cilic die Krimi-Serie Krvavo nasledstvo (Blutiges Erbe). Panorama kündete den Comic als "gemeinschaftliches Werk eines Jugoslawen und eines Amerikaners" an, „das unseren Lesern ein außergewöhnliches Ereignis aus unserem Leben präsentiert - auf sehr amerikanische Art". Zur selben Zeit zeichnete Aleksandar Ranhner nach dem Skript von Slavko Petrovic für eine Kinderzeitschrift den folkloristischen Comic Zadrugarsko srce (Das Zunftherz). In dem satirischen Witzblatt Jez (Igel) erschien der pummelige Held Stojadin, von Moma Markovic im klassisch-realistischen Stil der 1930er Jahre gezeichnet.

Neben den realistischen Abenteuercomics eroberten auch die lustigen Comics die serbischen Zeitungen. Politika brachte am 20. Januar 1935 Mikijeva savest (Mickys Gewissen) und einen Monat später den ersten Funny-Comic mit Fortsetzungen heraus: Plutonova velika trka (Plutos großes Rennen). Micky Maus wurde zu einem Erkennungszeichen für das angesehene Blatt und die besten Journalisten bis hin zum Verleger lieferten die Übersetzungen. Da die Disney-Figuren schon durch die Kinofilme bekannt und beliebt waren, wurden ihre Namen von vielen anderen Kinderzeitschriften als Titel genutzt.

Strip

Das erste Magazin, in dem Comics nicht mehr nur Beiwerk waren, sondern dominant die Seiten füllten, war die Beilage Strip der Zeitschrift Panorama. Die erste Ausgabe vom 10. April 1935 wurde zu Werbezwecken kostenlos verteilt. Die US-Serie Flash Gordon fungierte als Hauptattraktion, doch es gab auch viele Erstveröffentlichungen einheimischer Comics. Einige Werke kamen von russischen Emigranten, die, um zu überleben, so „verachtete“ Jobs annahmen wie „Comiczeichner“ - unter ihnen Vadim Kurganski und Djordje Lobacev mit ihrem Comic Zrak smrti (Todesstrahl), inspiriert von einem Science Fiction-Roman Alexey Tolstoys. Mit der 63. Ausgabe am 4. Juni 1936 wurde Strip wegen mäßigem Erfolg schon wieder eingestellt.

Nur zwei Wochen nach der ersten Ausgabe von Strip, am 25.April 1935, erschien in der aus Belgrad kommenden Jugoslawischen Illustrierten Zeitung die erste Nummer von Crtani film (der gezeichnete Film). Diese Comic-Beilage konnte sich immerhin bis zum 30. September 1936 halten. Präsentiert wurden Comic-Serien aus dem Ausland: Tarzan, Les Pieds Nickeles, Bringing up father und Micky Maus (in überarbeiteter Form). Von dem Angebot eigene Arbeiten einzuschicken, machten die Leser wenig Gebrauch.

Mika Mish (Micky Maus) und die ersten eigenständigen Comic-Magazine

Während vorangegangene Magazine nur vorübergehende Erscheinungen waren, konnte sich das Comic-Magazin Mika Mish durchsetzen. Der russische Einwanderer Aleksandar J. Ivkovic gründete nach dem Ersten Weltkrieg in Belgrad den Verlag Rus (Russe) und 1937 zusammen mit L. Lustig die Universum Press Company für Produktion, Herausgabe und Vertrieb von Comics. Sein Mika Mish-Heft erreichte 504 Ausgaben (21. März 1936 bis 4. April 1941, zwei Tage vor Kriegsbeginn) und genoss durch die US-Serien Prinz Eisenherz, Phantom, Mandrake der Magier und Flash Gordon hohes Ansehen. Auch einheimische Zeichner sorgten für ein sehr hohes künstlerisches Niveau. A.J. Ivkovic verkaufte über seine Agentur die Comics ebenfalls ins Ausland, ohne dem Wissen seiner Zeichner und Autoren. Einige Arbeiten finden sich in französischen Magazinen wieder, z.B. in Les Grandes aventures, Jumbo, Le journal de toto, Gavroche und Aventures.

Es war die Blütezeit der serbischen Comics. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges hatten einheimische Autoren und Zeichner mit rund 30 eigenen Comic-Serien Belgrad zu einer der europäischen Comic-Hauptstädte gemacht. Ob Abenteuer, Western, Science Fiction, Krimi, Melodrama, Historie ... kein Genre wurde ausgelassen. Die Zeichner und Autoren unterschrieben selten ihre Werke und wenn doch, dann oft mit amerikanisch klingenden Pseudonymen, da amerikanische Comics populärer waren als einheimische.

Die wichtigsten Zeichner:

-          Djordje Lobacev (Baron Minhauzen/Baron Münchhausen, Bas Celik, Seikov sin/Sohn des Scheichs, Gospodar smrti/Der Herr des Todes,)

-          Sergej Solovjev (Big Kid, Robin Hud/Robin Hood, Ajvanho/Ivanhoe, Bufalo Bil/Buffalo Bill)

-          Konstatin Kuznjecov (Grofica Margo/Gräfin Margo, Bajka o caru Saltanu/Märchen über Tzar Saltan, Boemi/Bohemians, Tri zivota/3 Leben, Pikova dama/Pik Dame)

-          Nikola Navojev (Mali moreplovac/Der kleine Matrose, Zigomar, Mladi Bartulo/Der junge Bartulo)

-          Ivan Sensin (Hrabri vojnik Svejk/Der brave Soldat Schweik, Zvonar Bogorodicine crkve/Der Glöckner von Notre Dame, Crveni bizon/Roter Bison)

-          Aleksije Ranhner (Jadnici/Les Miserables, Revisor)

-          Djuka Jankovic (Maksim, Pop Cira i pop Spira/Pfarrer Cira und Pfarrer Spira, Avanture nestasnog Bobija/Die Abenteuer des pfiffigen Bobby)

-          Sebastian Lehner (Dzarto, Sigfrid)

Zensur

Von Anfang an waren Comics einer scharfen Zensur unterworfen – abhängig von den jeweils aktuellen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen.

Ein Beispiel aus dem Jahre 1937: Der zuständige Regierungsbeamte glaubte in dem Politika-Comic Miki i njegov dvojnik (Micky Maus und der Herrscher von Medioka, Deutschland: Micky und der königliche Doppelgänger, in Wir, Micky und Minni und in Micky Maus Jubiläumsband 2) Ähnlichkeiten mit der angeblichen Situation am jugoslawischen Königshof in Belgrad zu entdecken: Fürst Pavle Karadjordjevic wolle seinem Neffen, dem minderjährigen König Petar, den Thron stehlen. Die Veröffentlichungen am 1., 2., 3. und 5. Dezember wurde verboten. Als Hubert Harisson, Korrespondent der New York Times und der britischen Nachrichtenagentur Reuters, darüber berichtete, wurde er ausgewiesen. Und Politika bekam von Walt Disney ein Telegramm, in dem er, mit leichter Ironie, sein Bedauern über die Verursachung von Problemen ausdrückte.

Comics vor Gericht

1938 wurden fünf neue Comic-Magazine gegründet. Zwei davon lieferten sich einen er-barmungslosen Konkurrenzkampf. Der Verleger Ivan Zrnic wollte sein neues Heft nach dem beliebten Held von Edgar Rice Burroughs Tarcan (Tarzan) benennen und A.J. Ivkovic wählte den Titel Novi Tarcan (Der neue Tarzan). Letzterem gelang es, einen Tag vor seinem Rivalen auf den Markt zu kommen und damit auch dessen Werbung in der Tagespresse für sich auszunutzen. Dieser war gezwungen den Titel seiner schon gedruckten Hefte mit einem neuen zu überkleben, mit Truba (Trompete).

Beide veröffentlichten die Comicserie Tim Tyler’s Luck von Lyman Young. Die Folge Tajna jezera Vamba (Das Geheimnis des Sees Vamba) in Zrnics Truba wurde in Ivkovics Mika Mish als Tajanstveno jezero (Der geheimnisvolle See) abgedruckt. Dann widmeten beide Verleger der beliebten Serie The Phantom von Lee Falk jeweils eine ganze Ausgabe. Es ist nicht mehr bekannt, wie der Streit ausging, doch vieles spricht dafür, daß Ivkovic mittels eines Gerichtsurteils den Kampf für sich entscheiden konnte. Ironie der Geschichte: Truba wurde mit der 55. Ausgabe am 13. Oktober 1938 eingestellt, während Novi Tarcan schon nach der 14. Ausgabe am 14. Juni des selben Jahres das Handtuch warf.

Aus Angst vor weiterer Konkurrenz gab A. J. Ivkovic weitere Comic-Magazine heraus,     um sich so Marktanteile zu sichern. In Zabavnik (Das unterhaltende Blatt) wurden Fortsetzungscomics aus Mika Mish als komplette Geschichte wiederholt. Mali Zabavnik (Das kleine unterhaltende Blatt) bot jungen, noch unbekannten Künstlern die Möglichkeit für Veröffentlichungen. Und Veseli Zabavnik (Das fröhliche unterhaltende Blatt) war auf humoristische Comics spezialisiert.

Die erfolgreichsten Jahre

Der Comic-Marktführer Mika Mish erhielt erst Anfang 1939 ernsthafte Konkurrenz durch die Magazine Mikijevo carstvo (Mickys Kaiserreich) und Politikin zabavnik (Das unterhaltende Blatt der Zeitung Politika).

Mikijevo carstvo wurde von Milutin S. Ignjacevic, dem ehemaligen Mika Mish-Redakteur, gegründet.  Er konnte die führenden Comic-Künstler für sich gewinnen: Branko Vidic, Nikola Navojev, Sebastian Lehner, Ivan Sensin, Djordje Lobacev und Sergej Solovjev. Da die Abdruckrechte für die beliebtesten ausländischen Comicserien, Phantom und Flash Gordon, schon vergeben waren, bediente sich M.S. Ignjacevic verschiedener Tricks. Seinen Geheimagent X9 nannte er in Kapetan Phantom um, aus Brik Bredford wurde Gordon Velsh, und die Serie Pirati vazduha (Luftpiraten) – im realistischen Stil des Flash Gordon-Zeichners Alex Raymond gehalten - pries er als „das neueste Werk des großen A. Raymond“ an und montierte Alex Raymonds Unterschrift in die Bilder. Tatsächlich stammte der Comic aus der Hand des in Italien zeichnenden Deutschen Kurt Caesar (Will Sparrow, il pirata del cielo). Als Phantom-Nachahmung erschufen Nikola Navojev und Branko Vidic im Mai 1939 den maskierten Rächer Zigomar. Neben seinem eng anliegendem Kostüm mit Maske, einem Ring mit eingraviertem Z und dem gezähmten Wolf Devil an seiner Seite, wurde er schnell zum Publikumsliebling. Die letzte Mikijevo carstvo-Ausgabe erschien als Nummer 217 am 9. April 1941 … nach der Bombardierung Belgrads durch die Deutsche Wehrmacht als letztes serbisches Comic-Magazin.

Am 28. Februar 1939 erschien mit Politikin zabavnik die erste Sonderausgabe der Zeitung Politika. Sie wurde zwar mit der 220. Nummer am 4. April 1941 eingestellt, aber nach dem Zweiten Weltkrieg, ab 1952, wieder neu aufgelegt. Die Köpfe hinter dem Projekt waren der Verlagsdirektor Vladislav Ribnikar und die Redakteure Zivojin Bata Vukadinovic und Dusan Duda Timotijevic. Letzterer gab den abgedruckten Disneyfiguren ihre serbischen Namen: Miki (Micky), Silja (Goofy), Paja Patak (Donald Duck), Pluton (Pluto) und Belka (Klarabella). Neben Serien aus dem Ausland, wie Dzim iz dzungle (Jungle Jim), Usamljeni jahac (The Lone Ranger), Red Rajder (Red Ryder), Popaj (Popeye), King iz severne brigade (King of the Royal Mounted) und Virus, carobnjak iz Mrtve sume (Virus, il mago della foresta Morta/Virus, der Zauberer aus dem Totenwald), erschienen auch einheimische Werke, wie Bas Celik des „Hauszeichners“ Djordje Lobacev.

Von 1935 bis 1941 wurden in Serbien rund 20 Comic-Magazine gegründet, einige mit Ausgaben in kyrillischer und lateinischer Schrift. In der Regel befanden sich hinter einer Farb-Titelseite schwarz-weiße Innenseiten. Die Stückzahlen bewegten sich zwischen 10.000 und 30.000 Exemplaren pro Ausgabe – große Zahlen, bedenkt man, dass der Industrialisierungsprozess und die Urbanisierung im Königreich Jugoslawien vergleichsweise langsam voran schritten. Mika Mish erreichte über 30.000 Stück pro Ausgabe, Crveni vrabac (Roter Spatz) 10.000 Stück, Mikijevo carstvo 30.000 Stück und Politikin Zabavnik 41.000 Stück. Da viele Blätter zweimal pro Woche erschienen und neben dem Hauptblatt noch periodische Nebenausgaben hatten, kamen wöchentlich rund 200.000 bis 300.000 Comics auf den Markt. Die Auflagen der führenden Tageszeitungen mit Comic-Seiten betrug bei Politika 146.000, bei Vreme 65.000 und bei Pravda 45.000 Exemplare. Mit dem Kriegsbeginn am 6. April 1941 endete diese Entwicklung und viele der namhaftesten Zeichner fanden in den folgenden Jahren einen oft tragischen Tod oder wurden vertrieben.

На Растку објављено: 2007-11-23
Датум последње измене: 2007-11-23 18:41:36
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